Evenhof (33)

In dieser Zeit merkte ich langsam, daß es etwas anderes war, ein Pferd zu besitzen, als „nur“ Reitbeteiligung zu sein. Plötzlich ist man verantwortlich und Entscheidungsträger. Und es wird sehr schwierig, wenn man, so wie ich, möglichst alles perfekt machen möchte. Egal worum es ging, ich war jetzt diejenige, die die Verantwortung zu tragen hatte. Und ich machte es mir nicht leicht. Das Fohlen sollte möglichst gut aufwachsen, möglichst gute Erfahrungen machen und dabei möglichst perfekt erzogen und später möglichst perfekt ausgebildet werden. (Ich glaube, dies ist die Stelle, an der man deutlich merken kann, daß ich keine Kinder habe.) Dabei war mein Budget begrenzt und ich war oft gezwungen Kompromisse einzugehen.

Ich hatte früher zum Beispiel nie einen Gedanken daran verschwendet, wann, wie oft, bei welchem Wetter und ob überhaupt, Lady auf das Paddock oder auf die Wiese kam. Nun gebot mir mein Gewissen, daß Luzie möglichst täglich und bei jedem Wetter, so lange, wie möglich raus sollte. Mein Fachbücher, die mich mit dem nötigen Wissen versorgten, taten das ihrige dazu. Nachdem ich einmal gelesen hatte, daß Fohlen den Grundstock für ihre Gesundheit in den ersten fünf Monaten legten, war es um meine Ruhe geschehen. Ich wollte späteren Schaden abwenden und bestand darauf, Luzie bei Wind und Wetter herauszustellen, damit sie ihren Bewegungsapparat und ihre Lungen möglichst perfekt trainieren konnte. Wolfgangs und Irecs Einwände – das Fohlen würde bei Regen krank – wollte ich nicht einsehen. Unsere Meinungen prallten förmlich aufeinander. Sie saßen am längeren Hebel, stellten sie doch morgens die Pferde raus. Ich wurde sauer und schon fingen die ersten Diskussionen an.

Eines Tages kam Gary, Luzie war ca. 2 Wochen alt, und schaute sich die Kleine an. Er ging zu ihr in die Box, legte seine Arme um sie und hielt sie fest. Ui, die beiden flogen nur so durch die Box aber Gary lies nicht los – so lange, bis die kleine Luzie wieder ganz ruhig stand und sich mit der Situation abgefunden hatte. „Das hättest Du schon viel früher machen sollen. Im Alter von zwei Wochen ist es fast zu spät dafür, sie werden zu stark“, war Garys Kommentar bevor er mir half, das Ganze zu wiederholen. Nun mußte ich sie festhalten, bis sie ruhig stand und ich durfte nicht loslassen. Wir flogen alle drei durch die Box und schafften das Unmögliche – ich lies nicht los und Luzie fügte sich in ihr Schicksal. Ich glaube, das war einer der wichtigsten Tage in ihrem Leben. Da hat sie gelernt bei mir zu bleiben.

Zum Thema „Fohlen führen“ gibt es lauter verschiedene Meinungen. Bei uns wurden die Fohlen nie freilaufen gelassen aber auch nicht am Halfter geführt. Wir legten einen Strick wie eine Acht um den Körper und versuchten damit die Fohlen unter Kontrolle zu bekommen. Als Luzie ca. 1 Monat alt war, legte ich ihr zum ersten Mal ein Halfter an. Ich wollte sie langsam daran gewöhnen, geführte wurde sie immer noch als Schnürpaket. Das war witzig, so in etwa wie eine hüpfende Handtasche an der Hand. Nach einiger Zeit machte ich den Strick dann am Halfter fest, führte aber immer noch mit dem Pakettrick, um dann immer mehr Einwirkung über das Halfter zu bekommen. So wurde Luzie schon recht früh ganz brav halfterführig.

Ich kümmerte mich weiterhin ganz liebevoll um Lady und putzte dabei die kleine Luzie ganz selbstverständlich auch mal mit. Nach einiger Zeit fing ich an, die Mama aus der Box zu holen und davor anzubinden, um die beiden an eine kurze Trennung zu gewöhnen. Lady sollte bald wieder geritten werden und Luzie durfte dabei nicht frei in der Halle laufen, wie es bei anderen Züchtern schon mal üblich ist. Ich holte auch schon mal Luzie aus der Box und lies die Mama drin. Die beiden konnten sich immer sehen, aber es war eben die Boxenwand dazwischen.

Dann lief ich oft auf dem Paddock rum und legte immer mal meine Jacke über Luzies Rücken oder legte meine Arme von oben um den Brustkorb und übte sanften Druck aus. Sie sollte sich daran gewöhnen, daß etwas auf ihr liegt, wie z. B. eine Decke oder später der Sattel und ich gewöhnte sie vorsichtig an Druck in der Gurtlage.

Alles dies war etwas Neues für die Leute am Stall, und ich wurde mit Argusaugen beobachtet. Die einen fanden es viel zu früh, die anderen lobten, daß Luzie mir nicht so auf der Nase herumtanzte, wie andere Fohlen es in dem Stall zuvor getan hatten. Ich fühlte mich auf dem richtigen Weg, aber ich dachte mir Luzie sei nur deshalb so brav, weil sie eine Stute ist und kein Hengst.



Ich weiß heute noch nicht, woran es lag; hatte ich mich verändert oder war es weil ich jetzt nicht mehr nur als Reitbeteiligung sondern als Pferdebesitzerin mit Verantwortung handelte? Keine Ahnung! Leider verschlechterte sich von Luzies Geburt an, das Verhältnis zu Wolfgang und Doro ganz unmerklich von Tag zu Tag und die euphorische Stimmung vor der Geburt des Fohlens schlug ganz langsam ins Gegenteil um. Es war teilweise ein ganz schreckliche Zeit für mich, aber ich war jetzt nun einmal die Verantwortlich und wollte immer nur das Beste für mein Pferd und eckte damit immer und immer wieder an. Andere Einstaller taten das ihrige dazu, indem sie mich lobten und Wolfgang kritisierten. Das kam ihm natürlich zu Ohren und gab unserer Freundschaft den Rest.

Ich habe noch eine ganze Weile danach ganz oft bereut, daß ich ausgerechnet dieses Fohlen bekommen habe, dann damit war alles das Schöne, was vorher war, in die Brüche gegangen. Ich hatte später zwar noch das Pferd, welches ich sehr liebe und über das ich sehr glücklich bin, aber alles andere war futsch.

Lieben Gruß
Eure

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